Im Sommersemester 2002 konnte ich einen Freund zur Teilnahme am sehr lobenswerten Studium-Generale Programm der Universität Tübingen (das man zum Teil auch übers Internet anschauen kann) gewinnen. Nach der Abend-Vorlesung sind wir in die Studentenkneipe gegangen und es kam mit 2 Studenten eine sehr interessante Diskussion zustande, ob alte Menschen noch studieren sollten und vor allem auch, wie so ein Studium aussehen sollte.
Sommeruniversität Tübingen - ein von SeniorInnen gut akzeptiertes Angebot
Junge Studierende sehen die immer häufiger anzutreffenden Frühpensionäre und Rentner nicht immer gerne in den Vorlesungen. Sie entpuppen sich dort oft als Besserwisser ("Coreferenten"), nehmen manchmal den jungen Leute buchstäblich den Platz weg und werden deshalb auch als unerwünschte Konkurrenz angesehen.
Ich selbst habe an vielen Spezialvorlesungen teilgenommen und war deshalb meist gerne willkommen, weil die oben genannten Probleme dort nicht relevant waren und ich mich gelegentlich als Tutor für die Prüfungsvorbereitungen eingesetzt habe. Aber im allgemeinen wird eine Trennung zwischen Ausbildung und Weiterbildung durchaus sinnvoll erscheinen.
Die Voraussetzungen der unterschiedlichen Gruppen Jugend und Senioren sind einfach zu verschieden, als dass für beide der gleiche Lehransatz passen würde. Senioren haben viel mehr Vorerfahrung, in der Gruppe wissen sie fast immer mehr als der Lehrer (ein Grundphänomen aller Erwachsenenweiterbildung), aber sie sind extrem viel langsamer im Lernen, vor allem wenn es um das Auswendiglernen geht.
Im allgemeinen wird deshalb das eingeschlagene Tempo (zum Beispiel bei Fremdsprachen ) an der Uni die Senioren total überfordern. Oder anders ausgedrückt, sie würden die jungen Leute bremsen und das kann doch nicht der Sinn der Sache sein.
Aber noch viel schwerwiegender als die verschiedenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten scheint mir das verschiedene Grundinteresse zu sein. Während bei jungen Menschen vor allem die Ausbildung zu einem Beruf im Vordergrund steht (oder zumindest stehen sollte), werden die Motive der Senioren ganz andere sein.
Der Hauptgrund für den Weg zur Uni im Alter sind die Erfüllung ungestillter Wünsche der Kindheit und Jugend. Wie oft habe ich gehört: Wir hatten kein Geld um zu studieren, ich musste früh eine Familie ernähren, ich konnte zum Studium nicht in eine andere Stadt fahren etc.
Aber ebenso wesentlich scheint mir der Wunsch nach interessantem Kontakt zu sein, die Befriedigung von Neugierde, die sinnvolle Nützung der Zeit, die dann oft reichlich vorhanden ist, und der Erwerb von nützlichem Wissen, der das Leben leichter und angenehmer werden lässt, auch wenn damit kein Gelderwerb mehr verbunden ist.
In diese letztere Kategorie fallen viele Veranstaltungen, wie sie heute meist von Volkshochschulen angeboten werden. Allen voran die Computer- und Internetkurse, aber auch Kurse zum Umgang mit dem Handy, gehören dazu. Dieses für den Alltag nützliche Wissen wird man an deutschen Unis kaum finden, aber ich frage mich, warum nicht? Ganz anders in den USA, wo man z.B. auch Fotografieren gelehrt hat. Aber dort lernt man ja auch schon im Gymnasium das Autofahren.
Die meisten Anforderungen für interessierte Laien und damit auch für Senioren werden Einführungsvorlesungen erfüllen. Aber im Gegensatz zum überwiegend vorhandenen Aufbau heutiger Vorlesungen wird dann auch immer ein Ausblick gewünscht, z.B. mit den aktuellen Forschungsthemen und -schwerpunkten. Alte Menschen wollen viel mehr Hintergrundwissen bekommen und sind nicht immer mit nur einer Lehrmeinung zufrieden. Dafür muss nicht unbedingt jedes Detail-Thema vertieft oder bewiesen werden.
Das "Studium Generale", eine Veranstaltungsreihe der Universität Tübingen wurde zwar nicht als Seniorenuniversität geplant, aber es hat sich für diese Zuhörerschaft als fast optimal erwiesen. Deshalb gebe ich ihm auch größeren Raum, als es der lokalen Bedeutung entspricht.
Im Konzept des Studium Generale der Uni Tübingen wird immer ein Hauptthema vorgegeben. In Ring-Vorlesungen wird dann an einem Wochentag, immer am Abend zur gleichen Zeit, meist von verschiedenen Referenten, das Thema behandelt. Dieses Konzept hat sich m.M. nach sehr bewährt, denn es erlaubt auch einmal wegzubleiben und trotzdem der ganzen Reihe folgen zu können.
1. Als Gasthörer im regulären Studienbetrieb
2. Ringvorlesungen (wie das Tübinger Studium Generale)
3. Sommeruniversität (wie die Tübinger Sommeruniversität)
4. Exkursionen, Studienreisen
5. Salons
6. Praktische Kurse (wie sie auch von Volkshochschulen angeboten werden)
7. Kurse und Videoangebote via Internet (z.B. TED, TIMMS)
8. Seniorenuniversität (mit Einschreiben, Prüfungen und Abschlusszeugnis)
Jede der Vorlesungen ist mehr oder weniger für sich abgeschlossen, oft kann sogar dann auch die Reihenfolge verändert werden, was sich auch für die Referenten als günstig erweist. Zusammengefasst wird der Ring von einer Einführungsvorlesung und einer zusammenfassenden Schlussvorlesung, beide meist von den Veranstaltern des Ring-Themas gehalten.
Als Beispiel für ein Oberthema nenne ich z.B. "Symmetrie". Es ist faszinierend, was alles unter diesem Thema an interessierten Beiträgen geboten werden kann. Aber auch eine Einführung in die Philosophie hatte so große Attraktion, dass die Veranstaltung in einen zweiten, großen Hörsaal übertragen werden musste.
Ein anderer Bereich, der von Senioren besonders geliebt wird, sind Exkursionen, Studienreisen und Studienfahrten. Hier wird nicht nur das Fachinteresse gestillt, sondern auch die Reiselust und der Wunsch nach Kontakten und Abwechslung. Senioren haben nicht nur die Zeit dazu, sondern sie sind auch willens dafür Geld auszugeben, das sie zwar nicht allzu reichlich haben. Aber sie haben gelernt, für Sinnvolles und Wichtiges Geld zu investieren.
Einige persönliche Tipps zu attraktiven Reisezielen für gebildete Senioren findet man auch auf den EUxUS-Seiten.
Wer sich Gedanken über eine Seniorenuniversität macht, hat mit diesen beiden Vorgaben (Ringvorlesungen und Studienfahrten) einen guten Start, denke ich. Auf jeden Fall sollten beide Veranstaltungen offen auch für Nicht-Senioren sein, denn es besteht überhaupt kein Grund den Interessentenkreis dafür einzuschränken, solange nur die Bedürfnisse der primären Zielgruppe erfüllt werden. Die Begegnungsstätte für Ältere in Tübingen (der "Hirsch") hat dies schon lange erkannt.
Ich denke auch, dass es angebracht ist, für die Veranstaltungen einer Seniorenuniversität Geld zu verlangen. Denn im Gegensatz zu der Ausbildung junger Menschen, die man als Investition in die Zukunft der Gesellschaft ansehen wird, ist die Weiterbildung und Unterhaltung alter Menschen nicht so leicht zu rechtfertigen. Natürlich wird man nie die Deckung aller tatsächlichen Kosten verlangen können, aber dass Teilnehmer einen kleinen Beitrag leisten, werden alle einsehen. Und dieser Beitrag (z.B. 2 pro Abend - Veranstaltung) kann durchaus den Unterschied ausmachen, ob jetzt eine Veranstaltung stattfindet oder nicht.
Auch wenn ich mir mit dem folgenden Hinweis Feinde machen werde: Ich halte nichts von Zeugnissen oder Abschlüssen für Veranstaltungen einer Seniorenuniversität. Als Leistungsnachweis sind sie überflüssig. Da es aber auch bei alten Menschen durchaus noch Siegertypen gibt, kann man ja freiwillige Wettbewerbe oder Olympiaden anbieten, bei denen sich diese dann hervortun können. Vielmehr würde ich als Zeichen von Anerkennung die Größe und vor allem das Einzugsgebiet der Zuhörerschaft ansehen. Und was kann befriedigender sein, als dass man Mitglieder einer Seniorenuniversität um ihre Meinung fragt und sie zu anderen Veranstaltungen einlädt.
Besonders gute Chancen gebe ich den Salons, hier als Beispiel der Kepler Salon in Linz. Die niederschwelligen, extrem flexiblen Angebote sind wie geschaffen für Menschen, die zwar lernen, aber alle Freiheit dabei bewahren wollen.
Und zum Schluss möchte ich noch auf die große Selbsthilfebereitschaft vieler Senioren hinweisen. Wo immer möglich sollten sie selbst einen hohen Grad an Verantwortung für Organisation ihrer Veranstaltungen übernehmen können. Denn obwohl sie vielleicht gelegentlich die professionelle Hilfe eines Büros brauchen werden, sind viele von ihnen durchaus in der Lage, selbst auch noch umfangreiche Veranstaltungsreihen zu managen. Ihre guten Kontakte aus der zurückliegenden Berufszeit werden dabei besonders hilfreich sein können.
Lediglich ein Aspekt scheint mir dabei besonders wichtig zu sein. Alle Funktionen sollten im Tandem, zu zweit, besetzt sein, denn sonst werden krankheitsbedingte Ausfälle schnell die Kontinuität unterbrechen.
Ich wünsche mir, dass meine Gedanken dazu beitragen, das Weiterbildungs- Angebot für Senioren, das sich z.B. in der Schweiz großer Beliebtheit erfreut, auch in Deutschland zu vergrößern und ihnen damit mehr Lebensqualität geboten wird. Bildungshungrige und aktive Senioren könnten durchaus ein gutes Beispiel für lernunwillige Jugendliche abgeben. Und vielleicht kann sogar die eine oder andere gemeinsame Veranstaltung mit Jung und Alt den Dialog zwischen den Generationen wieder etwas verbessern.
www.seniorenfreundlich.de/seniorenuniversitaet.html